Experimental evidence for structured information–sharing networks reducing medical errors Damon Centola et al; https://ndg.asc.upenn.edu/wp-content/uploads/2023/07/pnas.2108290120.pdf
Der Austausch unter Kollegen kann die Gefahr von ärztlichen Diagnose- und Behandlungsfehlern vermindern. Dies zeigen die Ergebnisse einer experimentellen Studie in der Ärzte ihre diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen verbesserten, wenn sie die Ansichten ihrer Kollegen kannten.
Die Diagnose von Krankheiten und die Wahl der besten Behandlung sind schwierig und ärztliche Entscheidungen anfällig für Fehler. Studien haben gezeigt, dass 10 % bis 15 % aller klinischen Entscheidungen bei einer späteren Überprüfung revidiert werden mussten. In Zweifelsfällen kann es helfen, einen Kollegen um Rat zu fragen. Dies muss kein Experte sein. Auch die Ansicht anderer Ärzte auf derselben Versorgungsstufe („peer to peer“) könnte helfen, wie das Experiment zeigt, das ein Team um Damon Centola von der „Network Dynamics Group“ an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia durchgeführt hat.
Die Forscher baten 2.941 Ärzte, sieben klinische Fall-Vignetten zu beurteilen, die ihnen in einer App vorgestellt wurden. Es handelte sich um alltägliche Fälle wie akute kardiale Ereignisse, geriatrische Erkrankungen, Rückenschmerzen oder die Prävention von Diabetesbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach der Lektüre wurden die Ärzte zunächst gebeten, das diagnostische Risiko für den Patienten auf einer Skala von 1 bis 100 einzuschätzen. Dabei ging es um konkrete Fragen, beispielsweise wie wahrscheinlich es ist, dass ein Patient mit Brustschmerzen innerhalb der nächsten 30 Tage einen Herzinfarkt erleidet. In einer zweiten Frage sollten die Ärzte eine diagnostische Entscheidung fällen. Sie konnten dabei unter mehreren Optionen auswählen, beispielsweise, ob sie den Patienten nach Hause schicken, ihm ASS verabreichen oder zur Beobachtung ins Krankenhaus überweisen.
Die Ärzte waren auf zwei Gruppen randomisiert worden. In einer Gruppe waren sie bei ihren Antworten allein, in der anderen Gruppe wurde ihnen mitgeteilt, wie 40 andere Kollegen den Fall beurteilt hatten. Danach wurde ihnen die Gelegenheit gegeben, ihre Ansicht zu revidieren. Wie Centola und Mitarbeiter berichten, waren die Ärzte bereit, sich an den Antworten der anderen Kollegen zu orientieren. Die Zahl der richtigen Einschätzungen in den beiden Fragen verbesserte sich um 5-%-Punkte (von 76,3 % auf 81,3 %), während sich die Ärzte in der Kontrollgruppe beim zweiten und dritten Blick auf denselben Fall nur um 2,5 %-Punkte (von 76,8 % auf 79,3 %) verbesserten.
Am meisten profitierte das Viertel der Kollegen, die in der ersten Runde die häufigsten Fehlentscheidungen getroffen hatten. Hier kam es zu einer Verbesserung um 15-%-Punkte im Vergleich zu den Kontrollen. Die Ärzte, die mit der ersten Ansicht richtig lagen, ließen sich dagegen nicht verunsichern. Die diagnostische und therapeutische Trefferrate änderte sich kaum. Damit ist laut Centola ein wichtiger Einwand widerlegt, nach dem das Netzwerken zu einem Mittelmaß führt, bei dem sich die schlechten Ärzte verbessern, die guten dagegen verschlechtern.
Centola hofft, die Erkenntnisse für die Entwicklung einer App nutzen zu können, in der sich Netzwerke von Ärzten gegenseitig austauschen würden, etwa indem sie ihre unklaren Fälle posten und dann die Kollegen nach ihrer Ansicht fragen. Der Zeitaufwand für den Informationsaustausch sei gering. In der Studie benötigten die Ärzte gerade einmal 20 Minuten für die sieben Vignetten.
Hier ein Beispiel für eine Fallvignette aus der Studie:
Webseite mit kurzem Youtube Film zu Ergebnissen der Studie
https://ndg.asc.upenn.edu/experiments/physician-reasoning-2/
https://ndg.asc.upenn.edu/wp-content/uploads/2023/08/pnas.2108290120.sapp-1.pdf
Fazit:
Mit einer NNT von 20 liegt man durch gemeinsame Besprechungen von Patienten ja im Grunde sehr gut.
Interessant wäre zu wissen, ob die Selbstwirksamkeit steigt und der Effekt noch besser wird.