Infomed Screen April 2018
Bei arteriellen Erkrankungen zusätzlich antikoagulieren?
In einer grossen Doppelblindstudie (COMPASS = «Cardiovascular Outcomes for people using anticoagulation strategies») wurde untersucht, wie sich die Zugabe einer niedrigen Dosis von Rivaroxaban (Xarelto®) zu Acetylsalicylsäure (Aspi- rin® u.a.) bei Personen mit einer arteriellen Gefässerkrankung auswirkt. In dieser internationalen Studie mit über 27’000 Teilnehmenden wurden drei gleich grosse Gruppen gebildet, die folgendermassen behandelt wurden: (1) Rivaroxaban (zweimal täglich 2,5 mg) + Acetylsalicylsäure (100 mg/Tag); (2) nur Rivaroxaban (zweimal täglich 5 mg); (3) nur Acetylsali- cylsäure (100 mg/Tag). Der kombinierte primäre Endpunkt der Studie entsprach einem kardiovaskulär bedingten Tod bzw. dem ersten Auftreten eines Herzinfarkts oder eines Hirn- schlags. Gefährliche Blutungen (Todesfälle oder Blutungen in wichtige Organe oder Regionen sowie blutungsbedingte Spi- talaufenthalte) waren die primären Sicherheits-Endpunkte. Die Resultate der Studie wurden in zwei separaten Texten veröffentlicht, der eine zu den Teilnehmenden mit einer koronaren Herzkrankheit, der andere zu denjenigen mit einer Karotisstenose oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK).
Karotisstenose / PAVK
Dieser Teil der Studie umfasst 7470 Personen, die im Wesentlichen eine klinisch eindeutige PAVK der unteren Extremi- täten oder eine Karotisstenose (von mindestens 50% bzw. mit einer Revaskularisations-Anamnese) hatten. Behandlungsgruppen und Endpunkte entsprachen den oben beschriebenen Definitionen. Zusätzlich wurden Komplikationen der PAVK (insbesondere Amputationen) erfasst. Die mediane Behandlungsdauer betrug 21 Monate.
Ergebnisse
Der primäre Endpunkt ereignete sich in der kombiniert be- handelten Gruppe (1) bei 5%, in der nur mit dem Plättchen- hemmer behandelten Gruppe (3) dagegen bei 7% der Teilnehmenden. Das heisst: die Kombination führte zu signifikant selteneren Ereignissen (relative Reduktion um 28%). Auch PAVK-Komplikationen waren unter der Kombination seltener (bei 1% gegenüber 2% unter Acetylsalicylsäure allein). Mit Ri- varoxaban allein ergab sich in Bezug auf den primären End- punkt kein Vorteil gegenüber der Monotherapie mit Acetylsa- licylsäure; PAVK-Komplikationen waren jedoch unter Rivar- oxaban allein seltener als unter Acetylsalicylsäure allein. Die Kombinationstherapie (Gruppe 1) führte zu 77, die Rivaroxa- ban-Monotherapie (Gruppe 2) zu 79 gefährlichen Blutungen, signifikant häufiger als die reine Plättchenhemmung (48 Fälle). Es traten aber keine tödlichen Blutungen auf.
Schlussfolgerungen
Im Vergleich mit Acetylsalicylsäure allein führt die Kombination von Acetylsalicylsäure (100 mg/Tag) mit Rivaroxaban in ganz niedriger Dosis (zweimal 2,5 mg/Tag) zu einer Abnahme kardiovaskulärer Komplikationen. Blutungen («major bleeding») sind aber unter der Kombination deutlich häufiger.
Koronare Herzkrankheit
Dieser Teil der Studie umfasst 24’824 Personen mit einer klinisch eindeutig nachgewiesenen koronaren Herzkrankheit (69% davon mit der Anamnese eines Herzinfarkts). Behandlungsgruppen und Endpunkte entsprachen den oben be- schriebenen Definitionen. Die mittlere Beobachtungsdauer betrug annähernd 2 Jahre.
Ergebnisse
Der primäre Endpunkt ereignete sich in der kombiniert behandelten Gruppe 1 bei 4% (n=347), in der nur mit dem Plättchenhemmer behandelten Gruppe 3 dagegen signifikant häufiger bei 6% (n=460) der Teilnehmenden. Mit Rivaroxaban allein ergab sich in Bezug auf den primären Endpunkt kein signifikanter Vorteil gegenüber der Monotherapie mit Acetylsalicylsäure. Die Kombinationstherapie (Gruppe 1) führte zu 263, die Rivaroxaban-Monotherapie (Gruppe 2) zu 236 gefährlichen Blutungen, signifikant häufiger als die reine Plättchenhemmung (158 Fälle).
Schlussfolgerungen
Die Studienverantwortlichen kommen zum Schluss, die Kombination von Rivaroxaban mit Acetylsalicylsäure führe gegenüber der reinen Plättchenhemmung gesamthaft zu einem besseren Resultat.
In beiden Studien traten unter der Kombination Acetylsalicylsäure/Rivaroxaban etwa 25% weniger Ereignisse auf als unter der Monotherapie mit Acetylsalicylsäure (2% absolute Reduktion); gefährliche Blutungen waren unter der Kombination um etwa 60% häufiger (1% absolute Zunahme). In der Studie bei Koronarkranken ergab die Kombination eine Reduktion der Mortalität um 23% (1% absolute Reduktion) gegenüber der Monotherapie mit Acetylsalicyl- säure. Somit kann durch die niedrigdosierte Zugabe eines direkten Antikoagulans zur Acetylsalicylsäure eine höhere Wirksamkeit erreicht werden, allerdings begleitet von einer moderaten Zunahme des Blutungsrisikos. Bevor jemandem mit einer «stabilen» Herz-Kreislauferkrankung eine solche zusätzliche Antikoagulation verschrieben wird, ist jedenfalls das individuelle Blutungsrisiko sorgfältig zu prüfen.
Der Arzneimittelbrief bewertet die COMPASS-Studie im Rahmen eines Leserbriefes wie folgt:
….Die COMPASS-Studie (1) ist eine von Bayer gesponserte prospektive, doppelblinde, randomisierte kontrollierte Studie, die an über 27.000 Patienten mit stabiler atherosklerotischer Gefäßkrankheit (Koronare Herzkrankheit, zerebrale und periphere arterielle Verschlusskrankheit) drei verschiedene antithrombotische Regime hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisraten untersuchte: 1. niedrig dosiertes Rivaroxaban (Riva; 2 x 2,5 mg/d) plus ASS (n = 9.152), 2. Riva allein (2 x 5 mg/d; n = 9.117) oder 3. ASS allein (n = 9.126).
Die Patienten mussten ≥ 65 Jahre alt sein oder auch jünger, wenn in einem weiteren Gefäßareal eine Atherosklerose dokumentiert war oder mindestens zwei klinische Risikofaktoren vorlagen (aktives Rauchen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Schlaganfall). Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. ein hohes Blutungsrisiko und die Notwendigkeit einer dualen Plättchenhemmung oder einer oralen Antikoagulation (OAK).
Das Ergebnis der COMPASS-Studie (mittleres Patientenalter 68,2 Jahre, 21,8% Frauen, 31% der Patienten aus Europa, 90% KHK, mittlere Nachbeobachtung 23 Monate) war hinsichtlich des primären Endpunkts – zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall oder nicht fatalem Myokardinfarkt – signifikant günstiger für die Kombinationsbehandlung Riva plus ASS: 4,1% vs. 4,9% (nur Riva) vs. 5,4% (nur ASS). Die „Number needed to treat“ (NNT) von Riva plus ASS gegenüber ASS allein beträgt demnach 75 über zwei Jahre. Ein statistisch bedeutsamer Vorteil auf die Gesamtletalität ergab sich nicht (3,4% vs. 4,0% vs. 4,1%). Diesem Nutzen stehen jedoch, wie zu erwarten, signifikant mehr Blutungen gegenüber. Die Rate klinisch bedeutsamer „Major Blutungen“ betrug für Riva plus ASS 3,1%, für Riva allein 2,8% und für ASS allein 1,9%. Die „Number needed to harm“ (NNH) von Riva plus ASS gegenüber ASS allein beträgt 85 über zwei Jahre.
Die Autoren der COMPASS-Studie – die meisten von ihnen mit einer Vielzahl von finanziellen Interessenkonflikten – errechnen einen signifikanten Netto-Nutzen für die Kombination von Rivaroxaban und ASS. Und obwohl der Kommentator Eugene Braunwald die Studie als „An important step for thrombocardiology“ einschätzt (4), überzeugen uns diese Daten angesichts der vermehrten Blutungen nicht in diesem Maße, und sie sind auch bislang nicht in den Behandlungsleitlinien berücksichtigt.
Fazit:
Es wird in der Klinik immer häufiger verschrieben. Der Nutzen ist sehr überschaubar. Wir sollten die Patienten über Nutzen und Schaden aufklären und mit ihnen zusammen über Absetzen oder Fortsetzen sprechen.
Pathophysiologisch verstehen wir den Grund einer Antikoagulation ohne Vorhofflimmern nicht. Ob es ein Versuch ist, einen Vorteil aus zwei verschiedenen Systemen zu ziehen.
Fazit Regen
Für den geringen Effekt von 1% ist uns das Risiko der schweren Blutung zu hoch. Es ist immer eine individuelle Entscheidung.