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Bewegung bei Depression

Degam Benefit 05/2018

Bewegung bei Depression

1 dass gegen Depressionen unterschiedlicher Schwere nicht nur Arzneimittel und psychotherapeutische Verfahren wirksam sind, sondern dass auch körperliches Training hilft, dürften viele von Ihnen in der täglichen Praxisarbeit, aber auch betroffene Patienten selbst erfahren.
Sucht man in PubMed nach „exercise training AND depression“, erhält man nicht weniger als 14.704 Hits, darunter alleine in den ersten Monaten dieses Jahres zahlreiche Studien und systematische Übersichtsarbeiten.
Die entsprechenden Wirkungen beschränken sich keineswegs auf Personen, die „ohne erkennbare Ursache“ depressive Symptome aufweisen. Auch Krebspatienten, Herzinsuffiziente, Alkoholkranke oder Schwangere bzw. Mütter im Wochenbett profitieren.
Körperliches Training hilft offenbar jungen wie alten Patienten; bei Major Depressionen ist es auch als Ergänzung zu Pharmakotherapie und/oder Psychotherapie wirksam (https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2018.00037/full).
Kann aber körperliches Training auch das Risiko einer noch nicht manifesten Depression mindern? Kann es, sagt eine industrieunabhängige Gruppe von Autoren aus Brasilien, Belgien, Australien, Schweden, Kanada und Großbritannien in einer gerade publizierten Studie. Nach Angaben der Verfasser handelt es sich hier um die erste Metaanalyse, die das Verhältnis zwischen körperlichem Training und Depressionsrisiko untersucht.
Die Autoren schlossen aus den Datenbanken PubMed, PsycInfo, Embase und SPORT-Discus 49 qualitativ moderat bis gute, prospektive Kohortenstudien mit insgesamt 266.939 Personen (47% Männer) ein. Die Teilnehmer wurden im Schnitt 7.4 Jahre nachverfolgt.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Risiko, eine Depression zu entwickeln bei Menschen mit einem hohen Maß an körperlicher Aktivität signifikant niedriger war als bei solchen mit niedrigerem Level. Das galt gleichermaßen für Jugendliche, Erwachsene bis 65 Jahren und Älteren; die Effekte waren unabhängig von möglichen anderen Einflussfaktoren und über alle geographischen Regionen konstant.
Die Studie weist einige Limitationen auf:
§ Alle eingeschlossenen Arbeiten sind Beobachtungsstudien und damit im Grundsatz fehleranfällig.
§ Zudem beruht die Intensität der körperlichen Aktivität auf den Selbstangaben der Teilnehmer/innen. Solche Angaben aber können u.a. einem potentiellen Erinnerungs-Bias unterliegen.
§ In den einzelnen Studien war die Dokumentation früherer depressiver Episoden – wie bei vielen rezidivierenden, nicht konstant symptomatischen Erkrankungen – weniger als perfekt.
Keine Limitation der Analyse, aber dennoch beachtenswert: Die Mechanismen, über die körperliches Training das Depressionsrisiko mindern, sind nicht genau bekannt. Diskutiert werden biochemische und psychosoziale Faktoren, die u.a. eine Verminderung entzündlicher Prozesse im Gehirn und auf diesem Wege eine Aktivierung des endocannabinoiden Systems bewirken.
Quintessenz:
§ Körperliches Training wirkt antidepressiv, bei jungen wie alten Patienten, mit und ohne Begleiterkrankung, auch als Ergänzung zu Pharmakotherapie und/oder Psychotherapie.

  • Das Risiko, dass symptomlose Personen eine Depression entwickeln, ist (ebenfalls ohne Altersabhängigkeit) bei einem hohen Maß an körperlicher Aktivität signifikant geringer als bei niedrigerem Level.

§ Die Studie stärkt erneut den Stellenwert körperlicher Aktivität als einer Art nichtmedikamentöser Polypill.

  • Dass dieser Anspruch allerdings nicht universell für jegliche Krankheit gilt, zeigt ein soeben publizierter RCT im British Medical Journal: Ein personalintensives Trainingsprogramm bei 494 dementen Patienten – 329 in der Interventions- und 165 in der Kontrollgruppe – erbrachte nach zwölf Monaten keine kognitive Besserung https://www.bmj.com/content/361/bmj.k1675.full.pdf

Die Originalarbeit (Amer J Psychiatry 2018) ist angehängt.

Fazit:

Wir empfehlen es unseren Patienten gerne und intensiv. Es hilft auch bei anderen Erkrankungen: KHK, Herzinsuffizienz, Gelenkerkrankungen, COPD…

Fazit Regen:

Es ist sicher nicht leicht, Menschen zur Bewegung zu motivieren. Es hilft auch, den Begriff „SPORT“ zu vermeiden. „Bewegung“ ist eine gute sprachliche Alternative.
Buchtipp von Teilnehmerin: Wie Glück im Hirn entsteht UND Biofilia-Effekt