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Rectale digitale Untersuchung

Degam Benefit 04/2018

Über den Wert (Evidence) der Rectalen Digitalen Untersuchung (DER)

Es ist eigentlich ein Grundsatz in verschiedenen medizinischen Bereichen – dass die DER obligat ist und zur körperlichen Untersuchung gehört. Denn: Mit dieser Art Routinescreening könne man bei Männern Prostatakarzinome und bei Personen beiderlei Geschlechts diverse andere Pathologien identifizieren (Appendizitis, Rectumtumoren, Haemorroiden, Prozesse in Douglas-Raum usw.).

  1. Untersuchen Sie eigentlich alle Ihre Patientinnen und Patienten im Laufe Ihrer hausärztlichen Betreuung rektal-digital? Nur Männer? Nur bestimmte Patienten?– Trotz dieser Einstellung geben zum Beispiel 50% aller Staatsexamenskandidaten an kanadischen Universitäten an, sie hätten während ihres Studiums keine einzige rektale Untersuchung durchgeführt. Nicht sehr viel besser sieht es mit dem Zutrauen fertiger Ärzte in die eigenen manuellen Fähigkeiten aus http:
    Viele Fachgesellschaften empfehlen es weiter z.B. bei Prostata-Krebsscreening ist DER ein wichtiger Bestandteil.

Wie aber sieht es mit wissenschaftlichen Belegen im hausärztlichen Bereich für diese gelehrte Überzeugung aus?

  1. Bereits vor 25 Jahren äußerte André Knottnerus, Professor für Epidemiologie in der Allgemeinmedizin an der Universität Maastricht, in der Zeitschrift Family Practice leise Zweifel am Nutzen der DER und mahnte fehlende Untersuchungen im hausärztlichen Setting an.
  2. Sechs Jahre später erschien eine Metaanalyse zum Thema aus der Arbeitsgruppe von Prof. Frank Buntinx, damals ebenfalls in Maastricht, später im belgischen Leuven. Eingeschlossen wurden 14 primärärztliche Arbeiten mit histologischer Bestätigung der Diagnose, wovon nur fünf als methodisch gut bezeichnet wurden. Der rektalen Untersuchung wurden hohe Spezifität und negativer Vorhersagewert, aber niedrige Sensitivität und positiver Vorhersagewert bescheinigt.
  3. Allerdings wurden auch methodisch zweifelhafte Arbeiten propagiert, wie z.B. eine Veröffentlichung von Urologen aus einer spezialistischen Überweisungsambulanz im British Journal of General Practice.
  4. Soeben erschien eine neue systematische Übersicht mit Metaanalyse aus der Feder kanadischer Autoren. Deren initiale Suche in den gängigen Datenbanken ergab nicht weniger als 8.217 Arbeiten, von denen dann nur neun englischsprachige Studien (mit 9.241 Patienten) den strengen methodischen Kriterien entsprachen. So musste die rektale Untersuchung zwingend von einem Hausarzt ausgeführt werden; eine histologische Bestätigung der Diagnose Prostatakarzinom war obligat. Die Ergebnisse; Eine Sensitivität von 0.51, eine Spezifität von 0.59, ein positiver Vorhersagewert von 0.41 und ein negativer Vorhersagewert von 0.64. sind miserable Resultate für einen diagnostischen Test, von Screeninguntersuchungen ganz zu schweigen…

Die digital-rektale Untersuchung ist als Screeningtest für die Entdeckung eines Prostatakarzinoms unzureichend und sollte – ob isoliert oder zusammen mit dem PSA-Test – nicht durchgeführt werden.

Auch für andere Ziele (Abklärung von Bauchschmerzen; Verdacht auf Appendizitis; Untersuchung von Traumapatienten https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/pmid/29589196/) eignet sich die Methode nur mit erheblichen Einschränkungen.

Im Einzelfall kann eine rektale Untersuchung z.B. bei folgenden Situationen nützlich sein: Rektale Blutung, veränderte Stuhlgewohnheiten, vom Patienten berichtete Auffälligkeit am Enddarmausgang, Abklärung einer Eisenmangelanämie, Diagnostik bei Verdacht auf Benigne Prostatahyperplasie, gynäkologische Erkrankungen z.B. mit Beteiligung des Douglas-Raums.

Trotz eindeutigen wissenschaftlichen Belegen, die der screeningmäßig durchgeführten, rektalen Untersuchung ein schlechtes Zeugnis ausstellen, bleibt die Überzeugungsarbeit schwierig. Als Beispiel für die Skepsis gegenüber solchen Fakten kann ein 2017 erschienenes Editorial eines amerikanischen Kollegen dienen. Dort heißt es:
„Im Zeitalter von hochentwickelten und kostspieligen Testverfahren wie PET-Scans, NMR-Ultraschall-Fusionsbiopsien, genetischen Testpanels und Computeralgorithmen scheinen wir vergessen zu haben, dass wir Ärzte bzw. Chirurgen sind. Ärzte berühren Patienten – gelegentlich an Orten, die üblicherweise sonst niemand anfasst. Im Eid, den wir alle zu Beginn unserer Tätigkeit schworen heißt es auch: „Nicht schaden“.
Wenn wir aber auf die rektale Untersuchung verzichten, weil es für den Patienten unangenehm ist, steht das diesem Eid diametral entgegen. Auch wenn wissenschaftliche Belege sagen, dass die rektale Untersuchung doch nicht so nützlich ist, wie wir früher alle glaubten, könnte es katastrophal sein, wenn wir eine behandelbare Pathologie auf diese Weise übersehen“ (Rosenberg MT. Make the DRE great again. Int J Clin Pract. 2017; 71: e12953).
Die Metanalyse (Ann Fam Med 2018), können Sie frei herunterladen unter https://www.annfammed.org/content/16/2/149.long

Fazit:

Die Evidenz für die rektale Untersuchung ist schlecht. Für das Screening auf Prostatakrebs ist sie nicht geeignet. Auch nicht bei Appendizitis.
Im Einzelfall kann eine rektale Untersuchung möglicherweise z.B. bei folgenden Situationen nützlich sein: Rektale Blutung, veränderte Stuhlgewohnheiten, vom Patienten berichtete Auffälligkeit am Enddarmausgang, Abklärung einer Eisenmangelanämie, Diagnostik bei Verdacht auf eine Benigne Prostatahyperplasie, gynäkologische Erkrankungen z.B. mit Beteiligung des Douglas-Raums.

Fazit REGEN:

Wenn man gar nicht mehr untersucht, fehlt auch die Übung, um bei Indikationen die Untersuchung fachgerecht durchführen zu können.
Die Diskussion bleibt offen…