Reaktion auf den aktuellen Artikel (The Lancet 1/2020 Wang et al.):
Intensive LDL cholesterol-lowering treatment beyond current recommendations for the prevention of major vascular events: a systematic review and meta-analysis of randomised trials including 327 037 participants
- Systematisches Review und Metaanalyse von 52 RTCs (Cochrane Central Register, bis zu 6/2019)
- Geht von dem CCT-Konzept aus (Lancet 2015)
- N = 327 037
- Durchschnittliches Follow-up 3,7 Jahre
- Fragen:
- KV-Risiko im Zusammenhang mit LDL
- KV-Mortalität
- Benefit bei DM und chron. NI
- Medikamentöse Sicherheit, NW-Profil
- Einschluss-Kritärien:
- Medikamente: Statine, Ezetimib, PCSK9-H
- > 1000 patient-years of follow-up
- KV-Outcomes
- Follow-up > 6 Monate
- Kontrolle:
- Plazebo
- Mono- vs. Kombitherapie
- Niedrig vs hochdosiert
- Endpunkte: KV-Ereignisse (ACS, Schlaganfälle)
- Ergebnisse:
- Jede LDL-Reduktion um 1 mmol/L assoziiert mit 19% Senkung des relativen Risiko (RR) der KV-Ereignisse
- LDL-Reduktion als stärkster prädiktiver Wert der Rate von KV-Ereignissen
- Effekt beobachtet für Statine, Ezetimib und PCSK9-H auch
- Effekt konsistent in allen LDL-Subgruppen (no-threshold)
- Effekt ähnlich in allen Altersgruppen
- Keine signifikante Unterschiede bei DM oder chron. NI
- Relativ niedrige Rate von NW
- Kritische Punkte
- 52 RCTs ziemlich heterogen (NNTs, follow-ups, verschiedene Statine und PCSK9-H, ver-schiedene Dosierung, primäre vs. sek. Prävention, HR vs. RR etc.)
- Kontroverse Extrapolation statistischer Ergebnisse von vorhandenen RCTs (und v.a. CCTs)
- Keine endpunktsnachgewiesene Assoziation zwischen der LDL-Reduktion und KV- und Gesamtmortalität
- Zusammenhang zwischen LDL-Reduktion und Senkung der KV- und Gesamtmortalität nicht linear sondern log-linear
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2405875/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12103306 - Markante Unterschiede zwischen relativen und absoluten Risiko bei hohen NNTs, NW-Risiko bleibt aber gleich!
- Hohe NNTs für ein verhindertes Ereignis
- Aggregierte Studiendaten, keine Trendeffekte über die Zeit zu berücksichtigen
- Nur in vereinzelten Studien hohe vs. niedrige Dosis desselben Statins
- Nur wenig Studien für primären Endpunkt positiv
- Nur selten LDL-Ziel < 70 mg/dl erreicht
- LDL als Surrogatparameter weniger valid
- Enorme Diskrepanz zwischen RCTs- und Real-world-Bedingungen (NW, Adherence etc.)
- Fazit von aktueller Datenlage:
- Aktuelle Metaanalyse (The Lancet 1/2020 Wang et al.) von LZ-Endpunkten (KV-Mortalität) nicht überzeugend, mit vielen methodischen Schwächen und ohne Einfluss auf die Gesamt-mortalität
- Aktuelle kardiologische Leitlinien:
- 2013 ACC/AHA:
https://www.ahajournals.org/doi/full/10.1161/01.cir.0000437738.63853.7a - Fire-or-forget
- Empfehlung des Risk-Calculators
- 2013 ACC/AHA:
- 2016 ESC/EAS:
https://academic.oup.com/eurheartj/article/37/39/2999/2414995- Treat-to-target
- 3 Risikogruppen nach LDL-Spiegel
- Hochrisiko-Gruppe:
- “Signifikante” PTCA-Plaques
- “Signifikante” CD-Plaques
- DM mit Organkomplikationen
- 3 weitere Risikofaktoren
- GFR < 30 ml/min
- Hochrisiko-LDL-Ziel < 70 mg/dl (“the lower the better”)
- PCSK9-H nur vorsichtig erwogen (“may be considered”)
- 2019 ESC/EAS:
https://academic.oup.com/eurheartj/article/41/1/111/5556353- Treat-to-target
- Weitere Ausweitung der Hochrisiko-Gruppe und Verschärfung der LDL-Zielwerte
- Praktisch keine Unterschiede zwischen der primären und sekundären Prä-vention mehr
- Vorliegende RCTs mit PCSK9-H ohne Einfluss auf die KV- oder Gesamt-mortalität (ODYSSEY-OUTCOME 2018, EMPATHY 2019)
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1801174
https://www.jstage.jst.go.jp/article/jat/23/8/23_33563/_article - Nur in einer RCT (FOURIER 2017) die KV-Mortalität (nicht die Gesamtmortalität) um absolut 1,5% seltener, aber in der Subgruppe aus Europa die KV- und Gesamtmortalität im Vergleich mit Plazebo sogar erhöht!
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1615664 - Hochrisiko-Gruppe neu definiert:
- Nicht nur bildgebende sonder auch klinisch “dokumentierte” atherosklerotische Gefäßerkrankung
- DM1 > 20 Jahre OHNE Organkomplikationen
- Sonst Hochrisiko-Gruppe von 2016
- Neues Hochrisiko-LDL-Ziel < 55 mg/dl (“as low as possible”)
- PCSK9-H deutlich empfohlen (“highly recommended”)
- G-BA sieht für beide PCSK9-H (Evolocumab und Alirocumab) keinen Zusatznutzen
https://www.g-ba.de/downloads/39-261-3468/2018-09-06_AM-RL-XII_Evolocumab_D-345_BAnz.pdf
https://www.g-ba.de/downloads/39-261-3774/2019-05-02_AM-RL-XII_Alirocumab_D-409_BAnz.pdf - Nur 2!!! von 21 ESC-LL-Autoren haben keine Interessenkonflikte, 70% aller Interessenkonflikte sind die PCSK9-H!!!
https://www.der-arzneimittelbrief.de/de/Artikel.aspx?J=2019&S=08DB01
https://www.der-arzneimittelbrief.de/de/Artikel.aspx?J=2019&S=32
- Die weitere Ausdehnung der Leitlinien (2019 ESC/EAS) bis dato von keinen Endpunkt-RCTs belegt
- Treat-to-target (im Vergleich mit fire-und-forget) bis dato in keiner randomisierter End-punktstudie überzeugend belegt, mit mehr NW belastet und mit hohen Kosten assoziiert
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16214597
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21067804
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12814710
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15249516
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15325833
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2405875/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK62291/ - Hochdosis-Simvastatin bringt offenbar keinen Zusatznutzen, mit deutlicher Zunahme der Myopathien
https://www.arznei-telegramm.de/html/2004_09/0409094_01.html - Für Rosuvastatin fehlen entsprechende klinische Nutzenbelege
https://www.arznei-telegramm.de/html/2008_12/0812119_01.html - Atorvastatin bei CCS nicht belegt
https://www.arznei-telegramm.de/html/2005_04/0504041_01.html
https://www.arznei-telegramm.de/html/2005_03/0503506_01.html - Ezetimib nicht ausreichend belegt
https://www.arznei-telegramm.de/html/2015_06/1506058_01.html - PCSK9-Hemmer nicht ausreichend belegt
https://www.arznei-telegramm.de/html/2016_01/1601400_01.html
https://www.arznei-telegramm.de/html/2015_11/1511109_01.html - Unklare LZ-Effekte der Hypocholesterinämie auf den Hirnstoffwechsel (potenzieller Zu-sammenhang mit Demenz, MS etc.)
- Sehr ungünstiges Kost-Nutzen-Verhältnis bei dem Treat-to-target-Strategie, v.a. bei neuen PCSK9-H (z.B. Evolocumab bis 1000 €/mo)
https://www.clinicaltherapeutics.com/article/S0149-2918(17)30500-3/fulltext
https://www.arznei-telegramm.de/html/2017_04/1704034_01.html - Aktuell laufende PCSK9-H-Kampagne mit “seeding-trials” die Indikation auszuweiten (ODYSSEY-Programm mit 14 Studien für Alirocumab, PROFICIO-Programm mit 20 Stu-dien für Evolocumab)
https://mfprac.com/web2019/07literature/literature/Cardiology/PCSK9I_Everett.pdf
https://www.arznei-telegramm.de/html/2018_12/1812098_01.html - Bei Torcetrapib sogar um 25% erhöhte!!! KV-Mortalität (ILLUMINATE-Studie)
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa0706628
Hauptquellen:
https://deximed.de/home/b/endokrinologie-stoffwechsel/krankheiten/uebergewicht-und-fettstoffwechselstoerungen/hyperlipidaemie/#therapie
https://www.arznei-telegramm.de/html/2019_11/1911089_01.html
https://www.arznei-telegramm.de/html/2018_06/1806052_01.html
https://www.der-arzneimittelbrief.de/de/Artikel.aspx?J=2015&S=30
https://www.der-arzneimittelbrief.de/de/Artikel.aspx?J=2015&S=88DB01
https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/A-Z/PDF/Fettstoffwechselstoerungen.pdf
LDL-Cholesterin nach Schlaganfall: Vergleich zweier unterschiedlicher Therapieziele.
Arzneimittelbrief
- Das LDL-Cholesterin (LDL-C) wird in vielen Studien als Surrogat-Parameter für Aussagen zur kardiovaskulären Morbidität und Mortalität verwendet. Nach Studienergebnissen führt die Senkung des LDL-C durch ein Statin zu einer proportionalen Abnahme des kardiovaskulären Risikos.
- Pro 1mmol LDL-C-Senkung (=38,7mg/dl) durch ein Statin sinkt das Risiko für ein klinisch bedeutsames kardiovaskuläres Ereignis („MajorcvE“: Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, Tod durch Koronare Herzerkrankung, Schlaganfall) relativ um 22% (1).
- Dieser Zusammenhang ist für andere Lipidsenker, wie Nikotinsäure, Fibrate, CETP-Hemmer (Cholesteryl-Ester-Transfer-Protein), Ezetimib und PCSK9-Hemmer nicht bzw. nicht im gleichen Ausmaß nachgewiesen (2).
Was ist unklar:
Ob zur Prävention von cvE mit Statinen ein bestimmter LDL-C-Zielwert angestrebt („Treat-toTarget“-Strategie) oder ob einfach die höchste tolerierte Statin-Dosis ohne LDL-C-Messwerte verordnet werden sollte („Fire and Forget“). Derzeit wird, zumindest von den europäischen Kardiologen, die zielwertgesteuerte Behandlung propagiert (1). Bei Risikopatienten hinsichtlich „MajorcvE“ soll das LDL-C demnach „as low as possible“ sein (vgl.3).
Da mit Statinen das LDL-C dosisabhängig maximal um 50% gesenkt werden kann, soll zum Erreichen dieses Therapieziels alles eingesetzt werden, was derzeit zur Verfügung steht: Statin in Hochdosis plus Ezetimib plus PCSK9-Hemmer. Es fehlen jedoch nach wie vor Studien, die diese „Treat-toTarget“-Strategie im Hinblick auf patientenrelevante Endpunkte validieren.
Fazit: Die randomisierte kontrollierte TST-Studie hat zwei verschiedene LDL-Cholesterin-Zielwerte in der Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA bei Patienten mit atherosklerotischer Grunderkrankung untersucht.
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Patienten von niedrigeren LDL-C-Zielvorgaben (<70mg/dl) profitie-ren können. Allerdings erreichte nur jeder zweite Patient den niedrigen Zielwert, und bei einem weiteren Drittel wurde die Behandlung vorzeitig abgebrochen. Dies wirft die Frage auf, wie realistisch solche Vorgaben in der täglichen Praxis umgesetzt werden können. Zudem hat sich in dieser Studie erneut gezeigt, dass sehr niedrige LDL-C-Werte mit einer höheren Inzidenz von Diabetes und hämorrhagi-schen Insulten assoziiert sind.
Fazit:
Ist theoretisch gut, aber praktisch haben wir keinen Zusatznutzen von PCSK9-Hemmern. Die ab-solute Risikoreduktion ist nicht wirklich überzeugend.
Ungünstiges Kosten-Nutzen-Profil.
Die Indikation sollte sehr eng gefasst werden.
Fazit Regen:
Wir alle sehen die starke weitere Senkung des LDL kritisch für die Lebensqualität der Patienten. Und dass man so viele Medikamente wie möglich dafür einsetzen soll, finden wir nicht zielführend. Die Gesamtschau des Patienten ist uns wichtiger.