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Ödeme als Nebenwirkungen von Kalziumantagonisten

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Der Arzneimittelbrief, Jahrgang 54, Nr. 7, Juli 2020

Ödeme als Nebenwirkungen von Kalziumantagonisten: Verschreibungskaskade vermeiden

Kalziumantagonisten (KA) zählen nach nationalen und internationalen Leitlinien zu den primären medikamentösen Therapieoptionen bei arterieller Hypertonie. Sie haben ein günstiges Nebenwirkungsprofil und erfordern keine Überwachung spezieller Laborparameter. Wegen der relativ hohen Sicherheit werden bei > 65-Järhrigen häufig verordnet. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählen Obstipationen und Flush und bei 2-25% der Behandelten periphere Ödeme. Sie beruhen auf einer Flüssigkeitsumverteilung im Körper und sind nicht Ausdruck einer generalisierten Flüssigkeitsretention. Inzidenz und Ausmaß sind abhängig von der Dosis., dem KA-Typ und der Therapiedauer. Amlodipin ist von dieser Nebenwirkung zahlenmäßig besonders betroffen, weil es der am häufigsten verordnete KA ist. Arzneimittelinduzierte Ödeme können zum Absetzen der KA zwingen, aber auch zu einer zusätzlichen Verordnung eines Diuretikums führen und somit zu einer „Verschreibungskaskade“. Diuretika wirken jedoch bei KA-induzieren Ödemen kaum und können bei Patienten, besonders, wenn sie nicht überwässert sind, zu Exsikkose, Stürzen und Elektrolytverschiebungen führen sowie die Nierenfunktion und kognitiven Fähigkeiten verschlechtern. Eine Verordnung von Arzneimitteln zur Verbesserung der Nebenwirkungen anderer Arzneimittel ist eine besonders problematische Form der Polypharmakotherapie, die Patienten gefährden kann und zu vermeidbaren Kosten führt. Zu Ödemen unter Behandlung mit KA gab es bisher nur Beobachtungsstudien.

In einer kürzlich im JAMA veröffentlichten bevölkerungsbasierten, retrospektiven Kohortenstudie aus Kanada wurden Patienten >66 Jahre mit arterieller Hypertonie auf die Frage hin untersucht, wie häufig die Neuverordnung eines KA im Verlauf von 90 Tagen zu einer anschließenden Verschreibung eines Schleifendiuretikums (SD) führt. Die Daten, die sich auf Neuverordnungen von Antihypertensiva bezogen, wurden den Unterlagen des öffentlichen Gesundheitswesens in der besonders dicht besiedelten Region Ontario über die Jahre 2011-2016 übernommen.

Studiendesign: Es wurden 41.086 Patienten eingeschlossen, denen neu ein KA verordnet worden war: Amlodipin (79,6%), Diltiazem (9,6%), Nifedipin (9,1%), Felodipin (0,9%), Verapamil (0,9%). Zum Vergleich wurden zwei Kontrollgruppen (KG) herangezogen: KG 1 umfasste 66.494 Patienten, die einen ACE-Hemmer (ACEH) oder einen Angiotensin-II-Rezeptorblocker (AT-II-RB) neu verordnete Antihypertensiva anderer Wirkstoffklassen. Eine Verordnung galt als neu, wenn das Antiypertensivum innerhalb des letzten Jahres vor dem Beobachtungszeitraum nicht verschrieben worden war. Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz, fortgeschrittener Niereninsuffizienz oder Vormedikation von Diuretika innerhalb des letzten Jahres wurden von den Analysen ausgeschlossen. Als primärer Endpunkt wurde die Neuverordnung eines SD gewählt, in der Regel Furosemid, da es im Gegensatz zu Hydrochlorothiazid keine eigenständige Indikation als Antihypertensivum hat, sondern in diesem speziellen Studiendesign den Bedarf an einem primär diuretisch wirkenden Arzneimittel unterstreicht. Weitere Endpunkte waren die Beendigung der KA-Therapie, stationäre Aufnahme oder Tod. Sekundäre Endpunkte waren die Verordnung eines weiteren Diuretikums zusätzlich zu Furosemid, wie Amilorid, Chlorthalidon, Hydrochlorothiazid, Indapamid, Triamteren, Eplerenon oder Spironolacton.

Ergebnisse: Die drei Kollektive stimmen in wesentlichen demografischen und klinischen Daten überein. Die Patient(inn)en waren im Mittel 74,5 +/- 6,9 Jahre alt, und 56,5% waren Frauen. In der KA-Gruppe waren mehr Patienten mit Niereninsuffizienz: 7,5% vs. 5,3% in KG 1 und 4,4% in KG 2.

Unter der Behandlung mit einem KA wurde signifikant häufiger zusätzlich ein SD verordnet: 90 Tage nach der Ersteinnahme eines KA betrug die kumulative Inzident für die Verdodnung eines SD 1,4 % vs. 0,7% in KG 1 und 0,5% in KG 2 (p < 0,001). Das Risiko, unter KA ein SD verschrieben zu bekommen, war im Vergleich zu ACEH und AT-II-RB schon in den ersten 30 Tagen um 60% höher: Hazard Ratio = HR: 1,68; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,38 – 2,05. Nach 31-60 Tagen stieg die HR auf 2,26 (CI: 1,76-2,92) und nach 61-90 Tagen auf 2,40 (CI: 1,84-3,13). Im Vergleich zur KG 2 (Antihypertensiva anderer Wirkstoffklassen) war die Wahrscheinlichkeit unter KA im ersten Monat bereits mehr als doppelt so hoch, im 3. Monat fast vervierfacht: HR 2,51 (CI: 2,13-2,96) nach 1-30Tagen, HR: 2,99 (CI (2,43-3,69) nach 31-60Tagen und HR: 3,89 (CI 3,11-4,87) nach 61-90 Tagen.

Auch andere Diurektika wurden häufiger in der KA-Kohorte verordnet: 4,5% vs. 3,4% in KG 1 bzw. 1,0% in KG 2 (p < 0,001). Diese Mehrverordnung von Diuretika hielt über einen Beobachtungszeitraum von bis zu einem Jahr an und war dosisabhängig. Nach Sensivitätsanalysen ging die Verordnung von Amlodipin seltener mit der Neuverordnung eines Diuretikums einher. Die Ergebnisse waren im Übrigen bei beiden Geschlechtern gleich, obwohl Frauen statistisch häufiger von KA-induzierten Beinödemen betroffen sind als Männer.

Dass Nebenwirkungen eines Medikaments nicht als solche erkannt werden oder als falsche Reaktion ein weiteres Medikament zur Behandlung der Nebenwirkung verordnet wird, ist ein klinisch relevantes Problem. Solche Verordnungskaskaden müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Rational wäre ein Wechsel auf ein anderes Antihypertensivum, oder falls eine mehrfache antihypertensive Therapie erforderlich ist, die Kombination mit einem ACEH oder AT-II-RB. Die Kombination scheint sowohl Inzidenz als auch Schwere KA-induzierter Ödeme zur reduzieren.

Wir haben generelle Aspekte der Polypharmakotherapie und Probleme von Verschreibungskaskaden wiederholt thematisiert und an die Möglichkeit des „Deprescribing“ appelliert. Unsere Einschätzung teilen auch die beiden Autoren des begleitenden Kommentars.

Fazit: In der retrospektiven Kohortenstudie hatten Hypertoniker, die mit einem Kalziumantagonisten behandelt wurden, eine um 60% höhere Wahrscheinlichkeit wegen neu aufgetretener peripherer Ödeme zusätzlich ein (Schleifen-)Diuretikum zu erhalten, als Patienten, die ein anderes Antihypertensivum erhalten hatten. Diuretika sind in dieser Situation oft wenig hilfreich und durchaus riskant. Besser wäre es, die gesamte antihypertensive (Kombinations-)Therapie neu zu überdenken.

Fazit:

Wichtig ist, bei allen Neuverschreibungen Patienten darauf hinweisen, dass generell Nebenwirkungen auftreten können. Und bei Amlodipin an Ödeme denken.

Wir sehen diese Nebenwirkung oft auch sehr viel später. Oft sind es Knöchelödeme, keine direkten Unterschenkelödeme.

Versuch der Umstellung auf Lercandipin ist möglich (muss aber nicht klappen). Es ist halt als zweites oder drittes Antihypertensivum oft hilfreich und nötig (gute prognostische Wirkung)

Fazit Regen:

Die Ödeme sitzen eher um die Knöchel herum und unterscheiden sich dahingehend von den cardialen Unterschenkelödemen.

Umsetzen auf Lercandipin möglich.

Für Notfallsituationen nehmen wir Ca-Antagonisten akut. Hier hilft als Tipp auch ein aufsteigendes Armbad.