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Bärentraubenblätterextrakt bei unkomplizierter Harnwegsinfektion?

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© 2021 arznei-telegramm, publiziert am 16. Juli 2021

Ohne dass Nutzen und Sicherheit durch aussagekräftige Studien belegt sind, wird Bärentraubenblätterextrakt (CYSTINOL AKUT1 u.a.) hierzulande seit Jahrzehnten rezeptfrei zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen der ableitenden Harnwege angeboten (vgl. a-t 1998; Nr. 12: 112-4). Die europäische Arzneimittelbehörde EMA beurteilt die Datenlage zu Wirksamkeit und Sicherheit in ihrer 2018 aktualisierten Pflanzenmonographie als sehr dürftig. Lediglich auf Basis der langjährigen Erfahrung sei die Anwendung als „traditionelles Arzneimittel“ zur Linderung von Symptomen milder wiederkehrender unterer Harnwegsinfektionen bei Frauen gerechtfertigt – nach Ausschluss schwerer Erkrankungen.2

Eine aktuell publizierte, hierzulande pragmatisch in Hausarztpraxen durchgeführte und mit öffentlichen Geldern geförderte randomisierte Doppelblindstudie3 untersucht nun, ob bei Frauen mit unkomplizierter Harnwegsinfektion die initiale Therapie mit einem Bärentraubenblätterextrakt den Gebrauch von Antibiotika reduzieren kann, ohne Beschwerdelast oder Komplikationshäufigkeit zu steigern. 398 im Mittel 44 Jahre alte Frauen mit Verdacht auf unkomplizierte Harnwegsinfektion und wenigstens zwei Symptomen (Dysurie, Harndrang, Pollakisurie, Unterbauchschmerz) sowie ohne Risikofaktoren für einen komplizierten Infekt wie Fieber oder Schwangerschaft (in der die Präparate laut EMA ohnehin nicht eingenommen werden sollen)2 nehmen teil. Beschwerden bestehen im Median seit drei Tagen. Randomisiert nehmen sie entweder fünf Tage lang 3 x 2 Tabletten Bärentraubenblätterextrakt (als ARCTUVAN, pro Tablette standardisiert auf 105 mg des in dem Extrakt enthaltenen Arbutin,3 das als Prodrug angesehenen wird2) oder einmalig das Antibiotikum Fosfomycin (3 g; MONURIL, Generika, siehe auch a-t 2018; 49: 45-6).3

Im ersten primären Endpunkt verringert Bärentraubenblätterextrakt zwar die Anzahl der Antibiotikatherapien innerhalb von vier Wochen im Vergleich zu Fosfomycin relativ um 64% (95% Konfidenzintervall [CI] 54-71; 92 Therapien bei 207 [44 pro 100] mit dem Extrakt behandelten Frauen versus 233 Behandlungen bei 191 [122 pro 100] Frauen unter Fosfomycin).3 Die Abnahme lässt sich angesichts des gewählten Studiendesigns mit der obligatorischen Anwendung von Fosfomycin in der Kontrollgruppe aus unserer Sicht jedoch nicht sicher auf den Extrakt zurückführen.

Im zweiten primären Endpunkt, der mittels validiertem Fragebogen erhobenen Symptomlast innerhalb der ersten Woche, wird zudem Nichtunterlegenheit des Extrakts gegenüber dem Antibiotikum verfehlt (relativ um im Mittel 36,5% höhere Symptomlast unter dem Extrakt im Vergleich zu Fosfomycin, 95% CI 23-52; für den Nachweis der Nichtunterlegenheit durfte die Symptomlast maximal 25% gegenüber Fosfomycin zunehmen). Unter dem Kräutermittel werden auch häufiger Analgetika gebraucht (43% vs. 31% der Frauen), und erneute Arztbesuche wegen Harnwegsinfekt nehmen ebenfalls zu (pro Frau im Mittel 0,46 vs. 0,22 in vier Wochen; sekundäre Endpunkte). Pyelonephritis ist unter dem Extrakt numerisch häufiger und betrifft 8 gegenüber 2 Frauen (3,9% vs. 1,1%),3 was wir wie bei der Einnahme von Schmerzmitteln gegen unkomplizierte Zystitis als bedenklich erachten (vgl. a-t 2017; 48: 116-7).

Bereits in einer 2019 publizierten ähnlich großen plazebokontrollierten Doppelblindstudie aus Großbritannien misslang der Nachweis einer Senkung von Harnwegsbeschwerden durch Bärentraubenblätterextrakt. In der damaligen Studie fehlen nach unserer Einschätzung zur Bewertung zu viele Daten – zum primären Endpunkt von einem Drittel der Frauen.4

Der deutschen S3-Leitlinie von 2017 zufolge können verschiedene Phytotherapeutika bei Frauen mit häufig rezidivierender Zystitis zur Prophylaxe erwogen werden, darunter auch Präparate mit Bärentraubenblättern, wobei die Leitlinie einen maximalen Anwendungszeitraum von einem Monat angibt.5 Laut Monographie der EMA sollen die Präparate jedoch maximal eine Woche lang angewendet werden.2 Für Hydrochinon, einen als aktiv angesehenen Metaboliten von Arbutin, ergibt sich aus Tierversuchen der Verdacht auf mutagene und karzinogene Wirkung.1 Langfristiger Gebrauch von Bärentraubenblätterextrakt könnte zudem zu chronischen Leberfunktionsstörungen führen.2

Den Nutzen von Bärentraubenblätterextrakt (ARCTUVAN u.a.) bei entzündlichen Harnwegserkrankungen erachten wir weiterhin als nicht belegt. Angesichts potenzieller Risiken raten wir von der Einnahme ab.

Frauen mit unkomplizierter Zystitis sollen ausreichend trinken* und wissen, dass die Beschwerden auch ohne antibiotische Therapie abklingen können.

* mindestens zwei Liter pro Tag, wobei Kontraindikationen wie Herzinsuffizienz zu beachten sind.

Zur Verringerung des Antibiotikagebrauchs halten wir es am ehesten für ratsam, Frauen mit unkomplizierter Zystitis und geringen Symptomen zwar ein Antibiotikum zu verordnen, ihnen jedoch zu erläutern, dieses erst dann zu besorgen und einzunehmen, wenn eine Besserung der Beschwerden innerhalb von 48 Stunden ausbleibt („delayed prescription“; vgl. a-t 2016; 47: 39).

Fazit:

Die Leitlinien empfehlen Abwarten, Wärme, Trinken, Ibuprofen und „delayed prescribing“.