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Perioperatives Management bei Antikolagulation mit Cumarinen – PERIOP2

Ein perioperatives Bridging mit Heparinen bei Patienten unter oraler Antikoagulation mit Cumarinen galt bis vor einigen Jahren als Standard. Seit der wegweisenden BRIDGE-Studie1 wird als gesichert angesehen, dass in der Regel auf ein Bridging verzichtet werden kann, solange die Antikoagulation nicht wegen eines sehr hohen Thromboembolierisikos oder Klappenersatzes erfolgt (siehe a-t 2015; 46: 62-3). Die Ergebnisse der lange erwarteten, aber erst kürzlich publizierten PERIOP2-Studie weisen in die gleiche Richtung,2 sind aber aus verschiedenen Gründen nur eingeschränkt interpretierbar.

Die randomisierte doppelblinde PERIOP2-Studie schließt zwischen 2007 und 2016 mit 1.471 weniger Patienten ein als geplant (1.773). Diese werden wegen nichtvalvulären Vorhofflimmerns (79,3%; CHADS2-Score im Mittel 2,4) oder Herzklappenersatz (44% mitral, 56% aortal) mit Warfarin (COUMADIN) behandelt, sollen aber vor nichtkardialen chirurgischen Eingriffen oder invasiven Interventionen „frei vom Cumarin-Effekt“ sein. Patienten mit Blutungen im Vormonat, Thrombopenie, Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min, spinalen oder neurochirurgischen Eingriffen, Mehrfach- oder STARR-EDWARDS-Klappenersatz sowie zerebrovaskulären Ereignissen nach einem Klappenersatz dürfen nicht teilnehmen. Warfarin wird bei allen fünf Tage (Tag -5) vor dem Eingriff (Tag 0) abgesetzt. Anders als in BRIDGE erhalten alle Patienten präoperativ noch eine parenterale Antikoagulation mit Dalteparin (FRAGMIN; 200 IE/kg s.c. an Tag -3 und -2 und 100 IE/kg an Tag -1). Am Abend nach dem Eingriff starten alle Patienten wieder mit Warfarin. Nur eine Hälfte erhält jedoch ab dem Tag nach dem Eingriff überbrückend Dalteparin, bis INR-Werte über 1,9 erreicht sind, mindestens aber für vier Tage (pro Tag 200 IE/kg bei geringem und 5.000 IE s.c. bei hohem Blutungsrisiko), die andere Hälfte der Patienten erhält Plazebo. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt setzt sich aus Schlaganfällen, transitorischen ischämischen Attacken, Herzinfarkten, peripheren Embolien, vaskulären Todesfällen und symptomatischen venösen Thromboembolien zusammen, den primären Sicherheitsendpunkt bilden schwere Blutungen nach ISTH-Kriterien.2*

* ISTH = International Society on Thrombosis and Haemostasis; schwere Blutung nach ISTH-Kriterien: Hb-Abfall ≥ 20 g/l oder Transfusionsbedarf ≥ 2 Einheiten in 24 Stunden; jede klinisch manifeste intrakranielle, intraspinale, intraokuläre, retroperitoneale, perikardiale oder tödliche Blutung2

Die Studie wird wegen auslaufender finanzieller Unterstützung und unzureichender Rekrutierung infolge zunehmender Verwendung neuer oraler Antikoagulanzien statt Warfarin vorzeitig beendet. Bei der ersten Interimsanalyse durch das Monitoring-Komitee fällt eine Imbalanz der Patientenzahlen in den Therapiearmen auf, die auf einen Programmierfehler zurückgeführt werden kann. Trotz versuchter Korrektur durch anschließende Anpassung des Randomisierungsverhältnisses erhalten weniger Patienten Plazebo als Dalteparin zum postoperativen Bridging (650 versus 821). Primäre Endpunktereignisse zur Wirksamkeit sind nach 90 Tagen in beiden Gruppen selten und unterscheiden sich nicht signifikant (1,2% [Plazebo] vs. 1,0% [Dalteparin]; Risikodifferenz +0,3%, 95% Konfidenzintervall [CI] -0,8% bis +1,3%; p = 0,64). Gleiches gilt für die Einzelkomponenten des primären Endpunkts, und auch für die Gesamtmortalität ergeben sich keine signifikanten Unterschiede (1,2% vs. 0,7%; p = 0,33). Schwere Blutungen treten ohne postoperatives Bridging nicht signifikant, aber numerisch häufiger auf (2,0% vs. 1,3%; Risikodifferenz +0,7%, 95% CI -0,7% bis +2,0%; p = 0,32), wogegen klinisch relevante, nichtschwere Blutungen mit grenzwertiger Signifikanz seltener (3,9% vs. 6,1%; p = 0,05) sind. Ein so genannter klinischer Nettoeffekt aus primären Wirksamkeits- und Sicherheitsereignissen fällt ohne postoperatives Bridging numerisch ungünstiger aus (3,2% vs. 2,3%; p = 0,28). Subgruppenanalysen, speziell zu Patienten mit Klappenersatz oder nichtvalvulärem Vorhofflimmern als Indikation zur oralen Antikoagulation, sollen keine auffälligen Befunde bieten, Ergebnisse werden jedoch nicht berichtet.2

PERIOP2 kann vor allem wegen methodischer Unzulänglichkeiten die Erwartungen (siehe a-t 2013; 44: 41-4) nicht erfüllen: Die (nicht mitgeteilte) tatsächliche Power dürfte deutlich unter den geplanten 80% liegen, da die vorgesehene Fallzahl trotz langer Laufzeit nicht erreicht wird und primäre Endpunktereignisse zur Wirksamkeit in der Kontrollgruppe deutlich seltener auftreten als kalkuliert (3,1%). Eine Nichtunterlegenheit der Strategie ohne postoperatives Bridging kann die Studie somit nicht ausreichend belegen. Zudem treten schwere Blutungen und Ereignisse im Sinne des Nettoeffekts unter Plazebo numerisch häufiger auf als unter Dalteparin. Speziell Todesfälle sind um 0,5% häufiger, was über dem zuvor als relevant betrachteten Unterschied von 0,3% liegt. Die methodische Validität leidet auch unter dem Randomisierungsfehler, der letztlich nicht nur zur Imbalanz der Patientenzahl, sondern auch zur Beeinträchtigung der verblindeten Zuteilung und zu einigen Imbalanzen bei den Basischarakteristika führt, beispielweise beim Patientenanteil mit Klappenersatz, Vorhofflimmern oder zerebrovaskulären Ereignissen in der Anamnese.3

Anders als BRIDGE schließt PERIOP2 auch Patienten mit Klappenersatz ein. Obwohl bei diesen nur 1 thromboembolisches Ereignis auftritt, und das unter postoperativem Bridging, ist die Zahl der Teilnehmer mit 304 zu klein, um hieraus für diese Patientengruppe neue Empfehlungen abzuleiten.4 Nach den aktuellen Leitlinien der europäischen und US-amerikanischen kardiologischen Gesellschaften sollen Patienten mit langfristiger Indikation für Cumarine nach Klappenersatz, bei denen präoperativ eine Unterbrechung der oralen Antikoagulation notwendig ist, prä- als auch postoperativ ein Bridging mit niedermolekularen oder Standardheparinen in therapeutischer Dosierung erhalten, bis unter der am ersten postoperativen Tag wieder aufgenommenen Cumarintherapie die angestrebten INR-Werte stabil erreicht sind.5,6** Wann immer seitens der Eingriffe möglich, sollte jede Unterbrechung der Antikoagulation jedoch vermieden werden.5,6

**         Anders als die europäische empfiehlt die US-amerikanische Leitlinie speziell bei Patienten mit mechanischen Doppelflügelklappen in Aortenposition ohne sonstige Risiken präoperativ eine kurze Unterbrechung der Cumarintherapie für zwei bis vier Tage ohne jegliches Bridging.6

Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern als Indikation zur oralen Antikoagulation weisen in PERIOP2 ein ähnliches Risikoprofil (CHADS2-Score im Mittel 2,4 und 3 oder 4 in 36%) auf wie die Patienten in BRIDGE (CHADS2-Score im Mittel 2,4 und 3 oder 4 in 35%). Für diese Patienten wird die Datenlage nach einer aktuellen systematischen Übersicht weiterhin maßgeblich durch die Ergebnisse der BRIDGE-Studie bestimmt: Unter einem Bridging sind schwere Blutungen etwa dreimal häufiger, ohne dass Schlaganfälle oder Embolien seltener auftreten.7 Im Vergleich dazu sind die Ergebnisse von PERIOP2 ungünstiger, betreffen aber auch nur den Verzicht auf postoperatives Bridging. Sie bieten keine neuen Erkenntnisse zum Stellenwert eines präoperativen Bridgings bei Patienten, die wegen Vorhofflimmerns mit Cumarinen antikoaguliert sind. Nach aktuellen Leitlinien soll bei diesen Patienten auch präoperativ auf ein Bridging verzichtet werden, solange das Risiko für Schlaganfälle und Embolien nicht deutlich erhöht ist (beispielsweise CHADS2-Score 5 oder 6).8

FAZIT

  • Die kürzlich publizierte PERIOP2-Studie vergleicht bei Patienten unter oraler Antikoagulation mit Cumarinen wegen nichtvalvulären Vorhofflimmerns oder Klappenersatz im Rahmen von invasiven Eingriffen den Verzicht auf ein postoperatives Bridging mit einem prä- und postoperativen Bridging mit Dalteparin (FRAGMIN).
  • Die Studie findet keine signifikanten Nachteile bei Verzicht auf das postoperative Bridging, weist jedoch relevante methodische Probleme auf, die ihre Aussagekraft beeinträchtigen.
  • Unseres Erachtens bleiben die bisherigen Empfehlungen, bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern im Rahmen von Operationen oder invasiven Eingriffen – wenn denn eine Unterbrechung der Antikoagulation überhaupt notwendig ist – auf ein Bridging ganz zu verzichten, solange ihr CHADS2-Score unter 5 liegt und in den Vormonaten weder Schlaganfälle noch Embolien aufgetreten sind, von den Ergebnissen der PERIOP2-Studie unberührt.
  • Auch für Patienten unter Cumarinbehandlung wegen Klappenersatz bietet die Studie keine belastbaren Ergebnisse, sodass hier – falls eine Unterbrechung notwendig ist – ein prä- und postoperatives Bridging mit einem Heparin in therapeutischer Dosis erfolgen sollte.

Fazit:

Wir können aufgrund der BRIDGE-Studie in der Regel die Antikoagulation weiterführen und müssen nicht bridgen. Nur bei hohem Risiko und großem Eingriff sollte gebridged werden.