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Langwirksames Morphin bei fortgeschrittener COPD: Einfluss auf Belastungsdyspnoe nicht gesichert [CME]

Atemnot ist ein komplexes Geschehen, das durch physiologische, psychische und soziale Faktoren, aber auch durch Aktivität und Training beeinflusst werden kann. Chronische Dyspnoe schon unter geringster Belastung ist das führende Symptom einer fortgeschrittenen chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Sie schränkt die Lebensqualität erheblich ein und ist oft mit Angst und Depression assoziiert. Das kann zu einer Vermeidungsstrategie mit körperlicher Passivität und weiterem Muskelabbau führen und die Belastungsdyspnoe verschlimmern [1]. Um den Leidensdruck zu lindern, können neben der Standardtherapie auch niedrig dosiert langwirksame Opioide eingesetzt werden. Opioide wirken nicht nur schmerzlindernd, sondern – zumindest kurzfristig – auch stimmungsaufhellend, angstlösend und beruhigend. Auf der anderen Seite wirken sie auch atemdepressiv, obstipierend und begünstigen einen Harnverhalt und Stürze.

Unklarheit besteht über das Ausmaß des Nutzens, mögliche Risiken und die Dosierung von Opioiden in der Indikation COPD, denn die Studienergebnisse dazu sind kontrovers ([2], [3], [4]). In der Nationalen Versorgungsleitlinie zur COPD von 2021 gibt es diesbezüglich keine Empfehlungen [5]. Im Hinblick auf die Befürchtung der atemdepressiven Wirkung von Morphin gilt eine Dosierung von maximal 20 mg/d allgemein als sicher ([2], [3], [4], [6]). Im JAMA wurde zu dieser Thematik jetzt eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Phase-III-Studie aus Australien publiziert [7].

Studiendesign: In der randomisierten plazebokontrollierten, doppelblinden Multicenterstudie wurden von 2016 bis Ende 2019 Patienten mit gesicherter COPD und chronischer Luftnot eingeschlossen, die trotz optimaler Medikation unter fachärztlicher Betreuung analog dem modifizierten „Medical Research Council Score“ (MRC; [8]) auf einer nach oben zunehmenden Skala von 1 bis 5 mit einem Schweregrad von 3 oder 4 eingestuft wurden. Das entspricht klinischen Parametern wie Luftnot nach einer Gehstrecke von 91,4 m (100 yards) oder bei den täglichen Verrichtungen wie beispielsweise Ankleiden. Bei Einschluss war eine forcierte respiratorische Einsekundenkapazität (FEV1) von < 70% gefordert. Patienten mit zentraler Hypoventilation oder Vorbehandlung mit Morphin waren ausgeschlossen.

In einem 1:1:1-Design erhielten die Teilnehmer an 20 Zentren in Australien entweder 8 oder 16 mg/d retardiertes Morphinsulfat (M) oral oder Plazebo sowie zusätzlich unter M wegen der zu erwartenden Obstipation 2 Abführ-Tabletten (Docusat plus Senna) bzw. 2 Plazebo-Tabletten unter Plazebo. Alle Teilnehmer erhielten ein Gerät zur Messung der körperlichen Aktivität (Fitbit), das ununterbrochen am Handgelenk getragen werden sollte. Mit Beginn der 2. und 3. Woche wurden – jeweils 1:1 randomisiert – weitere 8 mg/d M bzw. Plazebo zusätzlich verordnet. So konnte die Dosis verblindet bis auf maximal 32 mg/d in der 3. Woche gesteigert werden. Die Teilnehmer konnten sich freiwillig unter fortgesetzter verblindeter Studienmedikation für eine 6-monatige Nachbeobachtung entscheiden.

Die Teilnehmer mussten täglich ihre schlimmste Luftnot-Erfahrung auf einer aufsteigenden Skala von 0 bis 10 selbst einstufen. Primärer Studienendpunkt war der mittlere Score an den Wochentagen 5 bis 7 im Vergleich zum Ausgangswert und im Vergleich zu Plazebo. Zu den sekundären Endpunkten zählten die Zahl der gelaufenen Schritte als Differenz zum Ausgangswert und im Vergleich zu Plazebo nach Ablauf von 3 Wochen sowie Veränderungen in der Lebensqualität (13 weitere Fragebögen und Scores) sowie gesundheitsbezogene Daten, z.B. Kohlendioxid-Partialdruck (pCO2), Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz.

Ergebnisse: Von 160 randomisierten Patienten wurden 156 gemäß Studienprotokoll behandelt; mittleres Alter 72 Jahre (67-78 Jahre); 48% waren Frauen. Die meisten Patienten (78%) hatten einen modifizierten MRC-Score von 3 und 22% einen Score von 4. Von 138 Probanden (88%), die nach einer Woche ausgewertet werden konnten, hatten 48 eine Dosis von 8 mg M/d eingenommen, 43 Patienten 16 mg/d und 47 Plazebo. Die Episoden mit schwerster Luftnot hatten im Vergleich zu Plazebo weder unter 8 mg noch unter 16 mg M/d relevant abgenommen (mittlere Differenz: -0,3; 95%-Konfidenzintervall = CI: -0,9 bis 0,4 für 8 mg M/d und -0,3; CI: -1,0 bis 0,4 für 16 mg M/d).

Auch die Zahl der gelaufenen Schritte nach Ablauf von 3 Wochen war bei beiden M-Dosen nicht signifikant größer im Vergleich zu Plazebo. Sie hatte sogar abgenommen (mittlere Differenz -1453; CI: -3310 bis 405 unter 8 mg M/d im Vergleich zu Plazebo und -1 bis 312; CI: -3220 bis 596 unter 16 mg M/d).

Dem fehlenden Nutzen von M stehen zudem bedeutsame Nebenwirkungen gegenüber, wie Verstopfung, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Diese wurden dosisabhängig bei > 60% bis fast 80% der Patienten angegeben, im Vergleich zu 48% unter Plazebo. Deswegen brachen auch während der 1. Woche 2 Patienten unter 8 mg/d M und 5 unter 16 mg/d M die Therapie ab, jedoch kein Patient unter Plazebo. Der Trend setzte sich auch nach 2 und 3 Wochen fort. Insgesamt wurden 33% der Patienten in den M-Gruppen (gleich welcher Dosis) stationär behandelt oder starben im Vergleich zu 12% unter Plazebo. Indikation für die Klinikeinweisung waren progrediente Luftnot, Infektion, M-bezogene Nebenwirkungen und 2 Ereignisse von respiratorischem Versagen (nach festgelegten Kriterien). Auch die erhobenen Parameter zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität und physiologische Funktionen wurden durch M nicht günstig beeinflusst.

Nur 42% der Patienten konnten über volle 3 Wochen beobachtet werden. Die Studie ist zwar nicht sehr groß, hat jedoch ausreichend statistische Kraft um die Studienhypothese, dass M zur Behandlung der Belastungsdyspnoe bei COPD hilfreich ist, zu widerlegen. Ob eine zweimal tägliche Dosierung von M möglicherweise ein besseres Ergebnis gebracht hätte, ist sehr fraglich.

Als Einschränkung der Studie nennen die Autoren, dass die Atemnot nicht unter standardisierten Belastungsbedingungen erfasst, sondern nur unter Alltagsaktivitäten gemessen wurde. Für das stärkste Luftnoterlebnis wurde auch nicht zwischen Ruhe- und Belastungsdyspnoe differenziert. Es gibt die Hypothese, dass bei Patienten mit COPD eine Besserung der Belastbarkeit unter einer wirksamen intensivierten Behandlung oft deshalb schwer zu objektivieren ist, weil sie sich dank geringerer Luftnot stärker belasten und dass dadurch die Zahl der Luftnotattacken gleich bleiben oder sogar zunehmen kann ([4], [9]). Dies ist zumindest bei dem untersuchten Kollektiv nicht wahrscheinlich, denn die Schrittzahl hatte sogar abgenommen. Der Autor eines Editorials [10] gibt zu bedenken, dass die meisten Patienten mit COPD trotz anhand der Spirometrie belegter erheblicher Atemwegsobstruktion in Ruhe keine Atemnot verspüren. Er schlägt deshalb vor, statt einer Dauertherapie eine Bedarfsmedikation mit schnell wirkenden Opioiden vor akuten Belastungssituationen einzusetzen.

Fazit

In einer australischen Multicenterstudie hat regelmäßig eingenommenes, lang wirkendes Morphinsulfat bei Patienten mit schwerer COPD im Vergleich zu Plazebo nach einer Woche weder die Luftnot, Belastbarkeit noch verschiedene physiologische Parameter gebessert. Wegen der häufigen Nebenwirkungen ist die Nutzen-Risiko-Relation als ungünstig einzuschätzen. Es sollte untersucht werden, ob ein vor akuten Belastungssituationen bedarfsweise eingenommenes rasch wirkendes Opioid eine bessere Therapiestrategie ist als die hier untersuchte Dauermedikation von retardiertem Morphinsulfat.

Fazit:

Im akuten Anfall kann unretardiertes Morphin helfen. 
In der Dauertherapie zeigt retardiertes Morphin für die Atemarbeit keine Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung. Es kann daher für andere Indikationen hilfreich sein.
Psychische Verbesserungen können auch schon mit geringsten Dosen erreicht werden.

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