Die Impfung gegen Herpes Zoster – wirklich empfehlenswert? Gürtelrose ist ein häufiges Phänomen: Die Barmer Ersatzkasse gibt an, dass in Deutschland jährlich im Durchschnitt etwa 300.000 Menschen an Herpes zoster erkranken. Nach anderen Schätzungen manifestieren sich bei jedem dritten Erwachsenen die in der Kindheit durchgemachten Windpocken im späteren Alter als (Herpes) Zoster. Zu einer postzosterischen Neuralgie (PZN) kommt es in 12-20% der Fälle (siehe dazu die „Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung einer Impfung mit dem Herpes zoster-subunitTotimpfstoff“ der Ständigen Impfkommission im Epidemiologischen Bulletin vom 13.12.2018, tinyurl.com/5crrafzh); in etwa 10% muss mit einer über drei Monate anhaltenden Dauer gerechnet werden (Hadley G, Gayle J, Ripoll J, et al. Post-herpetic neuralgia: a review. Curr Pain Headache Rep 2016; 20:17-16-21). Die Erkrankung selbst, aber auch die mögliche Entwicklung einer postzosterischen Neuralgie kann mit erheblichen Schmerzen einhergehen. Eine mir gut bekannte Hausarzt-Kollegin fiel kürzlich sechs Wochen lang durch einen Zoster ophthalmicus in der Praxis komplett aus und war dann für mehrere Monate nur eingeschränkt arbeitsfähig. Seit 2013 ist in Deutschland ein abgeschwächter Lebendimpfstoff (Zostavax®) zugelassen, seit 2018 ein (adjuvantierter Subunit-)Totimpfstoff (Shingrix®). Die Ständige Impfkommission empfiehlt allen über 60-Jährigen sowie allen über 50-Jährigen mit erhöhtem Risiko zwei Impfungen mit Shingrix® (tinyurl.com/5crrafzh). Das oben zitierte Faktenblatt des RKI (tinyurl.com/5crrafzh) hatte ich im Rahmen einer VorabBefragung (2019) kritisiert: • der Schutzschild und das Stop-Schild sind suggestive Darstellungen, die den Eindruck erwecken, die Impfung helfe zu 100%. • Wichtige Informationen werden nicht zusammengeführt: wenn 1/3 aller Erwachsenen im Lauf des Lebens einen Zoster bekommt – und davon 10-20% eine PZN, wird nicht zusammengeführt, dass maximal ein von 15 Erwachsenen eine PZN erleidet – wobei nichts über die Schwere der PZN gesagt ist. • Es wird behauptet, mit nur einer Shingrix®-Impfung sei man nicht geschützt. Das kann sein – aber wir wissen das nicht. In die Zulassungs-Studie ZOE 50 (tinyurl.com/ms9znex7) waren Personen mit nur einer Impfung gar nicht eingeschlossen worden. • Der Satz im Faktenblatt „In den Zulassungsstudien gab es keinen Hinweis auf anhaltende oder die Gesundheit beeinträchtigende Nebenwirkungen.“ erscheint recht apodiktisch – immerhin war in der Zulassungsstudie ZOE 70 (tinyurl.com/mypzpf2f) über einen Todesfall im Zusammenhang mit der Impfung berichtet worden. Im Vergleich zu der Propaganda-Veranstaltung, die Ende des vergangenen Jahres in Tageszeitungen und auf Werbe-Postern an Bus- und Bahn-Haltestellen zu erleben war, erscheint das RKI-Faktenblatt allerdings als Gipfel der Seriosität. Wer genau hinschaut, wird links unten im Bild das Logo „GSK“ entdecken – Glaxo Smith & Kline ist Hersteller des Shingrix®-Impfstoffes. Im Jahr 2010 hatte das europäische Parlament entgegen einem Vorstoß des damaligen deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen entschieden, das europaweite Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente nicht abzuschaffen, sondern beizubehalten. Wie kann es also sein, dass GSK für einen verschreibungspflichtigen Impfstoff werben darf? Als ich die Werbeanzeige im Bremer Weserkurier entdeckte (nach Erscheinen kamen viele Patient*innen in die Praxis, die sich impfen lassen wollten), schrieb ich die Bremer Gesundheitsbehörde an. Das Amt sah allerdings keinen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) (tinyurl.com/bdhbu95t) – es seien kein konkretes Medikamenten-Produkt genannt und die Firma nicht überbordend in den Vordergrund gestellt worden. Dabei war in der Anzeige nicht nur generell auf das Risko der Erkrankung, sondern auch auf den entsprechenden Impfstoff aufmerksam gemacht worden – dessen einziger Anbieter GSK ist. Nach dem HWG darf nicht „“… mit einer bildlichen Darstellung, die in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise Veränderungen des menschlichen Körpers auf Grund von Krankheiten oder Schädigungen oder die Wirkung eines Arzneimittels im menschlichen Körper oder in Körperteilen verwendet“ geworben werden. Das Foto war jedoch ganz offensichtlich bearbeitet worden, um die Hautveränderungen durch die Gürtelrose prominenter hervortreten zu lassen. Es hat eine abstoßende Wirkung! Die Bremer Behörde hat das „Sitzland“ des Herstellers (Bayern) informiert – jetzt warten wir geduldig auf eine Reaktion von dort. In der Zwischenzeit stellt sich die Frage, wie wir unsere Patient*innen informieren sollen, die – animiert durch die GSK-Kampagne – wissbegierig die Praxis aufsuchen. Eine Zusammenfassung der beiden Zulassungsstudien ZOE 50 und ZOE 70 in einem CochraneReview (https://t1p.de/fgmgx) zeigte eine Senkung der Zoster-Fälle von 34 auf 3/1.000 Geimpfte (RR 0,08; 95%-CI 0,03-0,23). Allerdings waren bei beiden eingeschlossenen Studien Personen ausgeschlossen worden, die bereits einen Herpes Zoster gehabt oder gegen die Erkrankung immunisiert worden waren. In einem systematischen Review (tinyurl.com/mr3nsbeh) wird über eine relative Impf-Effektivität von 87% in Bezug auf eine PZN berichtet – in absoluten Zahlen geht es um 0,06 vs. 0,41% der Häufigkeit einer PZN, also eine absolute Risikoreduktion von 0,35%. 285 Personen müssen also geimpft werden, um einen Fall von PZN zu verhindern (erneut: keine Aussage über die Schwere der PZN!) Ein Blick in die m.E. hervorragende wissenschaftliche Begründung des RKI im epidemiologischen Bulletin von 2018 (tinyurl.com/5crrafzh) zeigt, dass die altersabhängige Inzidenz einer PZN folgendermaßen durch die Impfung beeinflusst wird: bei 50-59-Jährigen 9 vs. 0,6; bei 60-69-Jährigen 3 vs. 0,3 und bei 70-79-Jährigen 31 vs. 1,2 Fällen/1.000 Geimpften. Eine Nachbeobachtung der Studien ZOE 50 und ZOE 70 (tinyurl.com/48fk9e2f) zeigte: die Effektivität der Impfung zur Verhinderung eines Herpes Zoster lag nach weiteren sechs Jahren mit 84% deutlich niedriger als die 90-98% in den ersten vier Jahren nach der Impfung (Inzidenz in der Nachbeobachtung pro 1.000 Personenjahre 1,4 für Geimpfte vs. 8,5-9,7 bei Ungeimpften). Möglicherweise nimmt also der Schutz mit zeitlichem Abstand zur Impfung ab. Bei immunkompromittierten Personen, die ja am ehesten eine Impfung benötigen, ist die Impfeffektivität geringer (tinyurl.com/28tv3hhw und Dagnew A, Ilhan O, Lee WS, et al. Immunogenicity and safety of the adjuvanted recombinant zoster vaccine in adults with haemotolical malignancies: a phase 3, randomised, clinical trial and post-hoc efficacy analysis. Lancet Infect Dis 2019; 19: 988-1000). Mit welchen unerwünschten Wirkungen der Impfung ist zu rechnen? Das Paul-Ehrlich-Institut hatte im Jahr 2020 zur Teilnahme an einer Studie zur Häufigkeit von Herpes-Zoster im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgerufen (tinyurl.com/39a3t3bb). Ergebnisse dieser Studie liegen bis zum heutigen Tag nicht vor. Im Jahr 2019 waren der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) über 50 Fälle von Zoster-artigen Hauterscheinungen oder Dermatom-gebundenen Schmerzen im Zusammenhang mit einer Shingrix®-Impfung gemeldet worden. Dies verwunderte, weil – anders als bei der Lebendimpfung – Shingrix® keine aktive Infektion hervorrufen kann. Möglicherweise triggert aber die starke Immunogenität des Impfstoffes das Aufblühen der in den Nervenenden ruhenden Varizellen-Viren, wie dies – zumindest kasuistisch – auch von der Impfung gegen SARS-CoV-2 berichtet wird (tinyurl.com/2p85hkyt). In einer weiteren Kasuistik wurde auch über die Reaktivierung einer HZV-Keratitis im Zusammenhang mit einer Shingrix®-Impfung berichtet (tinyurl.com/3ympphdn). Hinzu kommt, dass bei Patient*innen mit Rheuma – denen man ja unter Immunsuppression am ehesten zu einer Zoster-Impfung raten würde –in einer retrospektiven Kohorte gehäuft Schübe ihrer rheumatologischen Grunderkrankung beobachtet wurden (tinyurl.com/5w67zhm3). In einer US-amerikanischen Erhebung an >65-Jährigen, geimpften Medicare-Versicherten (849.397 mit Totimpfstoff Shingrix®; 1.817.099 mit Lebendimpfstoff Zostavax®) verdoppelte sich das Risiko für ein Guillain-Barré-Syndrom innerhalb der folgenden 6 Wochen (tinyurl.com/4m35b7jn). Dieser Anstieg ging auf das Konto des Totimpfstoffs Shingrix®: Im Vergleich mit dem Lebendimpfstoff war das Risiko mehr als verdoppelt (RR 2,34 ; 95%-CI 1,01-5,41 / nach Sichtung der Krankenakten sogar fast vervierfacht RR 4,96; 95%-CI 1,43-17,27) = 3 zusätzliche Fälle auf 1 Million Geimpfte. Zusammenfassung: • Für immunkompromittierte Personen ist der Zoster-Totimpfstoff eine Option, allerdings ist die Wirkung schwächer. • Immunkompetente über 60 Jahren sollten ausgewogen beraten werden, da der Effekt der Impfung zur Verhütung einer PZN sehr begrenzt ist. Möglicherweise lässt er im zeitlichen Abstand zur Impfung nach. • Wir wissen nichts darüber, ob die Impfung Personen hilft, die schon eine Zoster-Erkrankung hinter sich haben. • Die Impfung ist vergleichsweise schlecht verträglich. • Es gibt ein – allerdings sehr geringes – Risiko eines Guillain-Barré-Syndroms und eines Zosters im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Persönliche Anmerkung des Autors: die allermeisten Patient*innen ohne Immundefizit, die ich entsprechend ergebnisoffen beraten habe, entschieden sich nach dieser Beratung gegen die Impfung…
Zusammenfassung
- Für immunkompromittierte Personen ist der Zoster-Totimpfstoff eine Option, allerdings ist die Wirkung schwächer.
- Immunkompetente über 60 Jahren sollten ausgewogen beraten werden, da der Effekt der Impfung zur Verhütung einer PZN sehr begrenzt ist. Möglicherweise lässt er im zeitlichen Abstand zur Impfung nach.
- Wir wissen nichts darüber, ob die Impfung Personen hilft, die schon eine Zoster-Erkrankung hinter sich haben.
- Die Impfung ist vergleichsweise schlecht verträglich. • Es gibt ein – allerdings sehr geringes – Risiko eines Guillain-Barré-Syndroms und eines Zosters im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung.
Fazit:
Die absolute Risikoreduktion ist 0,35%. 285 Personen müssen also geimpft werden, um einen Fall von PZN zu verhindern (keine Aussage über die Schwere der PZN!).
Im Prinzip ist die Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Impfungen gut.
Wir klären kritisch auf über Nebenwirkungen, empfehlen es aber eher den über 70 jährigen und immunsupprimierten Patienten, da diese relativ den größten Nutzen haben.